Lernen und Entwicklung
Wie gehen Entwicklung und Lernen vor sich? Ohne Gefühl und Interesse geht fast nichts, das bestätigen zahlreiche Erkenntnisse der heutigen Lern- und Hirnforschung. Wer beim Lernen aufmerksam, motiviert und emotional dabei ist, der wird mehr behalten. Montessori schrieb dazu bereits im Jahre 1934:
"Das Lernen ist einer wesentlichen Bedingung unterworfen, nämlich, dass der Schüler Wissen erwerben will, dass er Aufmerksamkeit aufbringen kann – für was auch immer – wenn es ihn nur interessiert. Seine geistige Aktivität ist die unentbehrliche Bedingung für ein Gelingen. Alles, was langweilt, entmutigt oder unterbricht, wird zu einem Hindernis, das durch keine logische Vorbereitung des Unterrichts überwunden werden kann… Das Interesse, das die spontane Aktivität steuert, ist der wahre psychologische Schlüssel… Der Mensch, dessen Interesse geweckt ist, zeigt oft ungeahnte Energie."
Eine zentrale Entdeckung von Maria Montessori ist die "Polarisation der Aufmerksamkeit". Damit meint sie eine tiefe Konzentration und Versunkenheit bei der Beschäftigung mit einem Lerninhalt. Die Auswirkungen dieser Konzentration bei den Kindern beschreibt sie so:
"Und jedes Mal, wenn eine solche Polarisation der Aufmerksamkeit stattfand, begann sich das Kind vollständig zu verändern. Es wurde ruhiger, fast intelligenter und mitteilsamer."
Maria Montessori beschrieb diese Polarisation als Ausdruck einer inneren Selbstorganisation (kognitiv, emotional, motorisch) und als "höhere Möglichkeit" und als "geheimnisvolle Quelle". Sie schätze diese Kraft so sehr, dass sie alles tat, um die Gegenstände und die Umgebung zu ermitteln, die diese Polarisation ermöglichen. Denn, wenn Kinder und Jugendliche möglichst oft solche Konzentrationen erleben können, dann normalisieren sie sich.
Was meint Montessori mit "Normalisierung" bzw. "Normalität"?
"Wenn wir statt 'Normalität’ 'Gesundheit' sagten, das meint psychische Gesundheit der Kinder während ihres Wachstums, dann beginnt der Sachverhalt klarer zu werden."
Es ist also keine Normalität im Sinne einer statistischen Durchschnittsgröße (in Bezug auf Fähigkeiten oder Fertigkeiten) gemeint, sondern eine gesunde, angstfreie Entwicklung gemäß den individuellen Möglichkeiten, gemäß dem immanenten Bauplan.
Eine normalisierte Person kann beschrieben werden als eine Person, die ihre Identität gefunden hat, die unabhängig, zufrieden und selbstständig ist. Dieses Ziel kann nur durch selbsttätiges Tun und Denken, durch konzentrierte Arbeit erreicht werden. Jeder Mensch muss seine "Normalisierung" selbst erreichen, wir als außen stehende Erwachsene können nur unterstützen.
Diese Haltung versinnbildlicht auch ein afrikanisches Sprichwort:
"Das Gras wächst nicht schneller indem man daran zieht".
Erwachsene stellen oft Barrieren auf bzw. sind selbst die Hindernisse (z.B. wenn sie zum falschen Zeitpunkt eingreifen oder den Kindern permanent Lerninhalte aufzwingen). So werden Kinder gleichermaßen gezwungen, auszuweichen oder sich zu wehren (Rebellion). Montessori spricht dann von "Deviation".